"Wir sind entsetzt, wie die Post AG mit dem Schicksal von befristeten Kollegen spielt. So etwas hat es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Doch nach dem ersten Schock entwickelt sich Wut", beschreibt Jens Ohlsen-Ortmann die Stimmung in der Niederlassung Brief in Kiel.

Auf der Tagung der ver.di-Betriebsgruppenvorsitzenden Anfang März gab es nur ein Thema: die aktuelle Situation bei der Deutschen Post AG. Von Existenzangst und Lohneinbußen um 20 bis 30 Prozent berichtet David Merck aus München. Die ersten Paketzusteller sollten dort bereits in eine Billigtochter wechseln, 210 von rund 500 sollen es am Ende werden. "Das geht an die Existenz", sagt Merck, "da brechen nicht nur Mitbestimmung und Tarif weg, da bricht alles zusammen. Dagegen müssen wir uns wehren!"

Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis spricht von einem "nachhaltigen Konflikt" mit dem gelben Riesen, von Profitgier, einseitigem Vertragsbruch und "Entwertung der Arbeit" beim Branchenprimus. Gleichzeitig versichert sie: "ver.di wird sich das nicht gefallen lassen. Wir bringen den Postvorstand an den Verhandlungstisch!"

Gleiche Arbeit, weniger Geld

Seit Januar ist klar: Der gewinnträchtige DAX-Konzern will einen Teil der bislang zu den Konditionen des Haustarifvertrags der Deutschen Post AG befristet Beschäftigten abschieben - in parallel zu allen 49 Briefniederlassungen gegründete DHL Delivery GmbH-Gesellschaften. Damit betreibt die Post Tarifflucht. Bis zu 26.000 Beschäftigte hatte das Unternehmen zuletzt mit befristeten Verträgen "in Geiselhaft" genommen, wie ver.di kritisierte. Jetzt werden die Paketzusteller, deren Befristung ausläuft, vor die Alternative gestellt, arbeitslos zu werden oder ihre Arbeit zu schlechteren Bedingungen in einer Regionalgesellschaft fortzusetzen. Obwohl anfangs noch mit aufstockenden Zulagen gelockt wird, bleibt das eine Wahl zwischen Pest und Cholera, geht es doch um dieselbe Arbeit, die nun mit Einkommensverlusten von bis zu 3500 Euro im Jahr erledigt werden soll. Denn in den Billigtöchtern wird nach dem Flächentarif der Speditions- und Logistikbranche gezahlt.

ver.di will klagen

Öffentlich wollte sich die Post für die Schaffung von Tausenden neuen Arbeitsplätzen feiern lassen. Inzwischen bekam der Vorstand für diesen Coup vielfach die Rote Karte gezeigt, nicht nur ganz direkt von 1 100 hessischen Beschäftigten nach einer Betriebsversammlung. ver.di kritisiert die Tarifflucht, aber auch den Vertragsbruch: Zuletzt hatte das Unternehmen Deutsche Post im Jahr 2011 mit der Gewerkschaft eine Vereinbarung zum "Ausschluss der Fremdvergabe von Zustellbezirken" ausgehandelt. Danach dürfen bis Ende 2015 maximal 990 Zustellbezirke an Servicepartner oder die Post-Tochter "DHL Home Delivery" vergeben werden. In den neuen 49 Regionalgesellschaften sollen in einem ersten Schritt aber gleich 5 000 Zustellbezirke zur Paketzustellung eingerichtet werden. Dagegen will ver.di mit einer Klage vorgehen.

Auch die gewerkschaftliche Tarifkommission hat reagiert. Im Februar hat sie den Paragraphen zur Arbeitszeit im Manteltarifvertrag mit der Post fristgerecht zum 31. März 2015 gekündigt. "Wir werden jetzt zügig eine Tarifforderung als Kompensation gegen den Verstoß entwickeln und den Postvorstand zu Verhandlungen auffordern", sagt ver.di-Tarifexperte Stephan Teuscher. Zur Begründung gehört, dass die Beschäftigten für den vereinbarten Schutz vor Fremdvergabe unter anderem auf Kurzpausen und arbeitsfreie Tage verzichtet hatten. Dafür gebe es vom Arbeitgeber nun keine Gegenleistung mehr. Zum 31. Mai können auch Entgelttarifverträge mit der Post AG gekündigt werden.

Für viele Beschäftigte ist in den letzten Wochen die heile Postwelt zusammengebrochen. Das Vorgehen des Arbeitgebers empfinden sie als nicht fair. "Die Vermutung liegt nahe, dass die Paketzustellung erst der Anfang ist", sagt der Kieler Betriebsratsvorsitzende Jens Ohlsen-Ortmann. "Unseren Leuten ist wohler, seit es eine tarifpolitische Antwort von ver.di gibt. Am 1. April endet die Friedenspflicht", ergänzt der Münchner David Merck.