In Bonn bildet das Forum Ziviler Friedensdienst Menschen aus, die im Auftrag politischer oder kirchlicher Organisationen bei der friedlichen Lösung von Konflikten in anderen Weltregionen helfen

Von Robert B. Fishman

Jahrelang herrschte Krieg - nun soll es endlich anders werden. "Was braucht man als erstes, wenn man einen Konflikt aufarbeiten will?", fragt Undine Whande in die Runde. Sie hat Stühle im Raum aufgestellt und mit Begriffen gekennzeichnet: Frieden, Gnade, Wahrheit. Unter dem vierten liegt ein Kärtchen mit dem englischen Wort "Justice". Heißt das nun Gerechtigkeit oder ist ein funktionierendes Justizwesen damit gemeint? Oder beides? Eine Weile lang diskutieren die Kursteilnehmer, erst dann steuert jeder einen der Stühle an. Nur einer wählt den Stuhl mit der "Gnade". Die meisten sammeln sich um das Schildchen "Frieden".

In einer gespielten Fernsehdiskussion argumentieren sie nun für ihre jeweilige Position. "Es gibt unterschiedliche Wahrheiten, die der Täter und die der Opfer," eröffnet "Mister Truth" die Diskussion. "Keine Gerechtigkeit ohne Frieden", hält ein anderer dagegen. Reicht es dazu, wenn die Waffen schweigen, oder hält der Friede erst, wenn Gerechtigkeit eingekehrt ist? Und ist die nicht Voraussetzung für Gnade - die aber wiederum nicht ohne Frieden zu haben ist? Die Diskussion hat ihr Ziel erreicht: Alle erkennen, dass es die eine, richtige Antwort nicht gibt.

Neun Wochen lang leben und lernen die sieben angehenden Friedensfachkräfte aus Deutschland, Nepal, Afghanistan, Österreich und dem Kongo zusammen in einem Tagungshaus am Rhein. Hier absolvieren sie die bundesweit einmalige Ausbildung zur zivilen Friedensfachkraft, die die Akademie für Konflikttransforma- tion des Forums Ziviler Friedensdienst organisiert. Die beiden Trainerinnen wissen, wovon sie sprechen: Sie haben lange in Südafrika den Aufbau der Wahrheitskommissionen begleitet, die nach dem Sturz des Apartheidregimes dessen Verbrechen aufarbeiten sollten.

Kismat sammelt viele Waffen in Kambodscha ein

Kismat aus Nepal arbeitet für den Deutschen Entwicklungsdienst DED in Kambodscha. Dort unterstützt er die Anti-Waffen-Organisation WGWR. Schätzungen zufolge besitzt jeder dritte kambodschanische Haushalt eine Waffe; Überfälle und Schießereien sind an der Tagesordnung. Die Regierung wollte den Waffenbesitz unter Strafe stellen. Effektiver sei es jedoch, den Leuten Geld zu geben, die ihre Gewehre freiwillig abgeben, meint Kismat. Die WGWR startete mit Plakaten, Radiosendungen und Informationsveranstaltungen eine landesweite Kampagne und bis Ende 2005 wurden immerhin 180000 der mehr als 500000 im Land verteilten Waffen vernichtet.

In Projekten wie diesem arbeiten die in Bonn ausgebildeten Fachkräfte. Für die internationalen Friedensbrigaden PBI begleiten sie Rechtsanwälte und Menschenrechtler in Guatemala, Mexiko und Kolumbien. Und überall, wo sie im Einsatz sind, unterstützen sie Menschen und Organisationen, die sich für Verständigung einsetzen. Zum Beispiel Heike Kratt: Sie organisierte für das Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem Begegnungen und Seminare für junge israelische und palästinensische Politiker. Als die wegen des eskalierenden Konflikts nicht mehr zusammenfinden wollten oder konnten, machte ihnen das Willy-Brandt-Zentrum ein neues Angebot: Die Gruppen entwickeln zunächst getrennt ihre Visionen für einen friedlicheren Nahen Osten und stellen ihre Ergebnisse dann auf eine gemeinsame Internetseite. Wie alle Friedensfachkräfte sieht sich auch Heike Kratt als Beraterin und Ideengeberin und nicht als jemand, der den Einheimischen fremde Lösungen aufdrängt.

Palästinenser und Israelis helfen gemeinsam

Die Arbeit des zivilen Friedensdienstes wirkt langfristig und ist schwer zu messen. Dennoch gibt es immer wieder sichtbare Erfolge. Am Stadtrand von Jerusalem leben neben einer Mülldeponie rund 1000 Jahalin-Beduinen, die nach dem ersten israelisch-arabischen Krieg aus der Negev-Wüste vertrieben wurden. Eingeklemmt zwischen den ständig wachsenden israelischen Siedlungen und palästinensischen Dörfern blieb ihnen nur ein karger Hügel, auf dem sie ohne Wasser und Strom in einfachen Containern hausen.

Zusammen mit der israelischen Menschenrechtsorganisation "Rabbiner für Menschenrechte" und der palästinensischen Nichtregierungsorganisation PARC half ihnen Anna Crummenerl im Auftrag des Bundes für soziale Verteidigung (BSV) bei der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Die Beduinen pflanzten Bäume, richteten eine Schule und eine Bibliothek ein und organisieren Englischunterricht für die zahlreichen Jugendlichen. Für Frauen gibt es nun Alphabetisierungskurse, Back- und Stickunterricht. Mit ihren Stickereien verdienen die bis dato mittellosen Frauen etwas Geld. Auch ein Fußballplatz ist entstanden - für die vielen jungen Männern, die vorher kaum etwas mit sich anzufangen wussten.

Es kann Monate dauern, bis eine Friedensfachkraft das Vertrauen der Menschen gewonnen hat. "Wenn wir über Konflikte reden, schauen wir als Fremde in die Schmutzecken der Gesellschaft", sagt BSV-Geschäftsführerin Kathrin Vogler. Ein Grundsatz der Arbeit ist, in jedem Fall die Allparteilichkeit zu wahren, sich also auf keine Seite des Konflikts zu stellen. Und nur dort, wo eine einheimische Organisation dies ausdrücklich wünscht, kommen Friedensfachkräfte zum Einsatz.

Ziviler Friedensdienst

Seit 1999 entsenden staatlich anerkannte Vereine und Organisationen ausgebildete Friedensfachkräfte für zwei bis drei Jahre in Konfliktgebiete.

www.ziviler-friedensdienst.org

Informationen über die Ausbildung zur Friedensfachkraft gibt es unter www.forumzfd.de/akademie.html