Das unmögliche Möbelhaus missachtet Meinungs- und Pressefreiheit

Cordula Becker mit Unterstützung

von ANDREAS HAMANN

Bei Ikea wird gefeiert. Vor 50 Jahren öffnete im schwedischen Älmhult das erste unmögliche Möbelhaus. Heute sind es fast 300 in aller Welt. Sie machen 21,2 Milliarden Euro Umsatz. Einer dieser Läden, in denen alle irgendwie Kumpels sind, liegt in Walldorf bei Heidelberg. Dort funkelt der schöne Schein nicht mehr so hell.

"Seit den Streiks bin ich denen wohl ein Dorn im Auge" - die Betriebsratsvorsitzende Cordula Becker sucht nach einer Erklärung. Im Frühjahr hatte die 39-Jährige ihren ersten blau-gelben Brief bekommen, die außerordentliche Kündigung. Eine zweite folgte, doch der Betriebsrat widersprach jedes Mal.

Üble Nachrede

Dabei hatten Haus-Chef und Personalleiterin schwere Geschütze aufgefahren. Ihr Vorwurf: Die Betriebsratsvorsitzende habe in Interviews für Radio Regenbogen, die ZDF-Sendung Frontal 21 und den Regionalsender SWR üble Nachrede und Verleumdung betrieben. Cordula Beckers Anwälte kontern: Die Äußerungen seien durch das Recht auf freie Meinungsäußerung abgedeckt. Und: "Es sind auch bestimmte Interviewteile gesendet worden, obwohl Frau Becker ausdrücklich darum ersucht hatte, dies nicht zu tun." Zum Beispiel die Aussage, dass jeden zweiten Tag der Krankenwagen gekommen sei, weil überlastete Mitarbeiter umgekippt waren.

In anderen Passagen findet sich Kritik an hoher Arbeitsbelastung, am Druck auf Betriebsräte und Streikende. Alles Dinge, die nicht nur für Walldorf belegbar sind. "Natürlich ist Ikea nicht Lidl, aber Kritik muss erlaubt sein", sagt Rainer Reichenstetter von ver.di.

Was daran üble Nachrede sein soll, fragen sich immer mehr Leute. Der DGB Rhein-Neckar ruft dazu auf, sich am Protest zu beteiligen, bis Ikea die Kündigung zurückzieht. Das Frauenzentrum Courage hat Ikea per Brief gewarnt, dass viele Kunden veranlasst werden könnten, woanders einzukaufen. "Gerade von Ikea hätte ich ein solches Verhalten nicht erwartet", heißt es auf ver.di-Postkarten, die in der Zentrale der Möbelkette eintreffen. "Verzichten Sie auf die Kündigung", ist die klare Forderung. Vor über 250 Ikea-Betriebsräten sagte Ulrich Dalibor, Leiter der ver.di-Bundesfachgruppe Einzelhandel, im Juni: "Ein Angriff auf Cordula ist ein Angriff gegen euch alle, den wir nicht hinnehmen werden." Er bekam lang anhaltenden Applaus.

Einen neuen Schub hat die Solidarität bekommen, seit sich das Mannheimer Arbeitsgericht Mitte August auf die Seite des Möbelhauses schlug und der Kündigung zustimmte. Als Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit wertet das "Zukunftsforum Gewerkschaften Rhein-Neckar" diese Entscheidung.

Wachsender Mut

"Ich gehe vor das Landesarbeitsgericht und werde das durchziehen, egal bis wie weit nach oben", sagt Cordula Becker. Besonders stolz ist die allein erziehende Mutter auf den Rückhalt, den sie von ihrer 15-jährigen Tochter und von ihren Eltern bekommt.

Doch auch im Möbelhaus tut sich etwas. "Wenn du so etwas mit erlebst, dann entwickelst du dich", weiß Cordula Becker. Seit November 2007 stand sie an 35 Streiktagen mit jeweils 70 bis 80 Beschäftigten vor den Türen des Betriebs. So etwas hatte Walldorf noch nie gesehen. "Nach den Streiks ist bei vielen der Mut gewachsen", berichtet die Betriebsratsvorsitzende, die ihr Amt noch immer ausübt. Die Atmosphäre wandelt sich. Eine Kollegin, die vorher sehr reserviert war, umarmte sie neulich mitten in der voll besetzten Kantine. "Das gibt Kraft."

Zu ver.di-Solidaritätsaktionen wird bundesweit aufgerufen. Die Postkarte kann man über die E-Mail-Adresse bezirk.rhein-neckar@verdi.de bestellen.

Proteste Ikea-Deutschland: petra.hesser@memo.ikea.com

Bitte Kopie an: heike.romaniak@verdi.de

Infos im Internet: http://ikeakonflikt.verdi.de