VON ADRIENNE WOLTERSDORF

Gewerkschafterinnen in Las Vegas unterstützen Obama

US-amerikanische Politiker, vor allem Republikaner wie George W. Bush, reden gern über Demokratie und die historische Mission der Vereinigten Staaten, die Freiheit in die Welt zu bringen. Sie verurteilen Regimes, die die Meinungs- und Versammlungsfreiheit missachten, und Organisationen, die bei Wahlen betrügen. US-Gewerkschafter fragen sich seit langem, warum dieselben Politiker schweigen, wenn es um das eigene Land geht, denn in den USA sind solche Grundrechtsverletzungen in vielen Betrieben an der Tagesordnung.

Laut Studien der gewerkschaftsnahen Organisation "American Rights at Work" wird alle 23 Minuten jemand in den USA wegen seines gewerkschaftlichen Engagements entlassen. Ein Drittel der Arbeitgeber kündigt Anführern einer Gewerkschaftsbewegung, und neun von zehn Bossen zwingen ihre Beschäftigten zu unmissverständlichen Gesprächen unter vier Augen über die Gewerkschaften. Kein Wunder also, dass Gewerkschaften trotz breiter Zustimmung, die vor Betriebsratswahlen durch unverbindliche Wahlkarten, so genannte "union authorisation cards", abgefragt wird, nur jede dritte der geheimen Wahlen gewinnen. Kommt es zu Wahlen, ist bisweilen sogar die Hilfe der Polizei notwendig, damit Abstimmungswillige ihr Votum abgeben können.

Endlich das neue Gesetz

US-Präsident Barack Obama hatte sich schon als demokratischer Senator für die Reform des US-Gewerkschaftsgesetzes eingesetzt. Bei seinem Amtsantritt kündigte er an, die soziale Lage der Beschäftigen stärken und Betriebe wieder für Gewerkschaften öffnen zu wollen. Er unterstützt daher einen kürzlich zum zweiten Mal eingebrachten Gesetzesvorschlag, den Employee Free Choice Act, kurz EFCA, der das gewerkschaftliche Organisationsrecht der Beschäftigten gewährleisten soll. Das Gesetz hatte es bereits 2007 durch das Abgeordnetenhaus geschafft, war aber an wenigen Stimmen im Senat gescheitert. Obwohl die Demokraten nun im US-Kongress in beiden Kammern die Mehrheit haben, sieht es für EFCA jetzt keineswegs vielversprechender aus: Eine Reihe konservativer Demokraten denke nicht daran, Obama zu unterstützen, verkündeten sie im Juli. Hintergrund ist der angekündigte Widerstand einer mächtigen Unternehmerlobby wie der US-Handelskammer und führender Unternehmen. Die ließen Obama schon im Januar wissen, dass sie nichts unversucht lassen werden, um EFCA erneut zu Fall zu bringen.

Arbeitgeber gegen Reformen

Arbeitgeber bekämpfen die geplante Neuerung so vehement mit Worten und Millionen von Anti-EFCA-Dollars, weil eine Reform zunächst erhebliche Mehrkosten bedeutet: Nach offiziellen Zahlen verdienen gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte in den USA durchschnittlich 27 Prozent mehr Lohn und sind doppelt so häufig krankenversichert. Frauen, die organisiert sind, verdienen danach 179 Dollar pro Woche mehr, Afro-Amerikaner 180 Dollar. Die Gewerkschaften sprechen von 25 bis 40 Prozent höheren Leistungen für ihre Mitglieder. Weil es in den USA keine Tarifverträge mit branchenweiter Gültigkeit gibt, sondern jeder Betrieb einzeln verhandelt, haben gewerkschaftlich organisierte Unternehmen gegenüber ihren nicht organisierten Wettbewerbern grundsätzlich einen finanziellen Nachteil. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder sinkt stetig. In den USA sind nur noch 7,5 Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft und 35,9 Prozent im öffentlichen Sektor gewerkschaftlich organisiert. Das sind gerade mal 12,4 Prozent (16,1 Millionen) der Beschäftigten, im Vergleich zu 20 Prozent im Jahr 1983. Umfragen der Gewerkschaften zufolge würden 60 Millionen Beschäftigte gern einer Gewerkschaft beitreten - wenn sie nur könnten.

Die Obama-Regierung meint es ernst mit ihrem Versprechen. Erst wenn alle Belegschaften die Chance auf eine gewerkschaftliche Vertretung erhalten, gleiche sich der gegenwärtige Wettbewerbsnachteil von "fairen" Betrieben aus, so das Kalkül. Das EFCA-Gesetz ist daher eines der wichtigsten und umstrittensten Gesetzesvorhaben der Obama-Administration. Doch einer der zentralen Punkte im Gesetz ist nun zum Zankapfel geworden: die geheimen Wahlen. Während Konservative sie für grunddemokratisch halten, lehnen Gewerkschaften sie wegen der Erfahrungen mit Einschüchterungen ab. EFCA würde die geheimen Wahlen abschaffen, solange nicht ein Drittel der Belegschaft darauf besteht. Kommt es im Herbst im Kongress nicht zu einem Kompromiss, könnte EFCA ein zweites Mal scheitern - und mit ihm ein entscheidender Teil von Obamas sozialer Reformpolitik.