55 Prozent der ver.di-Mitglieder haben den Tarifabschluss in der Urabstimmung akzeptiert

VON CLAUDIA VON ZGLINICKI

Wochenende mit Stefan Keller

Auch Stefan Keller, Sozialpädagoge aus Mainz, hat zugestimmt, vor allem wegen des Tarifvertrags zum Gesundheitsschutz, der die Arbeitgeber künftig verpflichtet, gemeinsam mit den Beschäftigten etwas gegen belastende Arbeitsbedingungen zu tun. Und da geht es nicht nur um ergonomisch geeignete Stühle für Erzieher/innen. Doch Keller hat auch "bitterböse Anrufe von Kollegen" bekommen, die unzufrieden sind - und die er verstehen kann. "Als zwiespältig empfinden wir in Rheinland-Pfalz die Situation", sagt er. Und so ist der Stand bundesweit: Bis zum Stichtag am 21. August hatten 55 Prozent der ver.di-Mitglieder aus dem Sozial- und Erziehungsdienst dem Tarifergebnis zugestimmt, in manchen Regionen waren es viel mehr, in anderen viel weniger. Mehr als die Hälfte hatte im Durchschnitt ja gesagt, obwohl viele meinten, es gebe keinen Grund zum Jubel. Es war eher ihre nüchterne Einschätzung, die Keller teilt: Mehr wäre in Zeiten der Krise nicht drin gewesen. Selbst das, was sich ab 1. November ändern wird, hat sich mancher anfangs nicht vorstellen können, am wenigsten wohl die kommunalen Arbeitgeber. Doch sie konnten die Streiks nicht ignorieren, ebenso wenig wie die Debatten in der Öffentlichkeit und die Zustimmung, die sogar von Politikern kam. Wie noch nie zuvor ist die Arbeit von Erzieher/innen, Sozialpädagog/innen, Sozialarbeiter/innen und Fachkräften zur Arbeits- und Berufsförderung in den letzten Monaten beachtet und anerkannt worden - wegen der unzähligen Aktionen und Demonstrationen.

Gesundheit und Geld

Auf die Straße waren die Erzieherinnen, Sozialpädagogen und ihre Kolleg/innen aus den vielen Bereichen des Sozial- und Erziehungsdienstes - oft gemeinsam mit Eltern und Kindern - gegangen, um zweierlei zu erreichen: einen Tarifvertrag für den Gesundheitsschutz, der über den vagen gesetzlichen Schutz hinausgeht und den es im öffentlichen Dienst noch nie gegeben hat, und für die seit Jahrzehnten fällige Aufwertung ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Menschen mit Behinderungen und Familien, die Unterstützung brauchen. Dass Aufwertung immer auch mit Geld zu tun hat, wussten alle. Dass es um Bereiche geht, in denen mehr Frauen als Männer arbeiten, auch. Das hat die Sache nicht einfacher gemacht. Auch in Tarifauseinandersetzungen spiele es nach wie vor eine Rolle, ob es sich um Männer- oder Frauenberufe handele, sagt Angelika Spautz, Vorsitzende der ver.di-Bundesfachgruppe Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe. Stefan Keller arbeitet im Jugendzentrum "Haus Haifa", einem von zehn Jugendzentren in Mainz. Er hat an 17 Tagen gestreikt. Als die Vertreter/innen der Streikleitungen am 27. Juli, dem letzten Verhandlungstag, noch vor der Bundestarifkommission über den Abschluss abgestimmt haben, war er dabei. "Die Kollegen weiter zu mobilisieren wäre schwer gewesen", sagt er. "Unsere Einrichtung war zwölf Tage wegen der Streiks geschlossen, zuletzt haben wir uns noch an einem stummen Protest vor dem Haus der Jugend in Mainz beteiligt. Unsere Botschaft auf Plakaten hieß: Das Haus ist saniert, aber es ist keiner mehr da, der es betreibt." 80 bis 100 Kinder und Jugendliche kamen im ersten Halbjahr 2009 täglich ins Jugendzentrum "Haus Haifa", doch außer Stefan Keller arbeitet dort jetzt nur noch eine weitere Kollegin. "Das kann man gesundheitlich auf die Dauer nicht tragen", sagt er. "Außerdem wird von uns ständig Neues verlangt. Längst geht es nicht mehr nur um Freizeitgestaltung; wir machen auch Stadtteilarbeit, betreuen schwierige Jugendliche, bieten ab Ende August Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung... Zu zweit ist das auch mit Honorarkräften nicht zu schaffen. Wir werden überlegen müssen, wo wir Abstriche machen." Stefan Keller wünscht sich, dass die Aktionen und Streiks nicht einfach vergessen werden. "Wir haben jetzt Zeit, neue Strategien und Pläne zu entwickeln", sagt er. "In Mainz sind die Jugendzentren näher zusammengerückt. Und wir wollen auch wieder eine eigene ver.di-Betriebsgruppe gründen."

Kein Ende der Kampagne

Ab 1. November 2009 gelten für die 220 000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst neue Regelungen zur Bezahlung. Die neue Tabelle fasst die mehr als 50 verschiedenen Tätigkeiten in 14 Entgeltgruppen zusammen. Danach bekommen nahezu alle Beschäftigten mehr Geld, vor allem die nach dem Oktober 2005 Neueingestellten.

Eine reguläre Erzieherin erhielt bislang 2 130 Euro brutto, jetzt bekommt sie 2 240 Euro. Nach vier Jahren erhält sie anstelle von 2 236 Euro künftig 2 400 Euro.

Sozialarbeiter/innen im Allgemeinen Sozialen Dienst bekommen künftig als Berufsanfänger 2 500 Euro statt bisher 2 237 Euro.

Für viele Beschäftigte bleibt die Aufwertung jedoch weiterhin eine wichtige Aufgabe. ver.di kündigte an, die Kampagne "Chancen fördern - Anerkennung fordern" weiterzuführen. "Wir werden die Arbeitgeber und die Politik nicht aus der Verantwortung für eine höhere Anerkennung der sozialen Berufe entlassen", erklärte Bundesvorstandsmitglied Achim Meerkamp. Dazu gehörten eine Steigerung der Aus- und Weiterbildungsbildungsqualität sowie eine bessere Personalausstattung - "nicht nur bei den Erzieherinnen, sondern in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe".

www.chancen-foerdern.de