Von Annegret Böhme

Die Tasten klappern, wenn Manfred Schubö schwungvoll Daten in den Computer eingibt, um das Steuerprogramm zu füttern: Gehalt, gezahlte Steuern, Sozialversicherungsbeiträge. Frau G. sitzt vor seinem Schreibtisch und reicht ihm Papiere, wenn er danach fragt - die Jahreseinkommensbescheinigung, eine Gehaltsabrechnung... Dann sieht sie wieder aus dem Fenster und wirkt ziemlich entspannt - für eine Frau, die gerade ihre Steuererklärung macht. Jedes Jahr lässt sie sich dabei von den Kolleg/innen in der Frankfurter ver.di-Zentrale helfen. Der Lohnsteuerservice ist hier täglich geöffnet. Das geht, weil immer donnerstags Manfred Schubö und sein Kollege Walter Denter den Job machen, und zwar ehrenamtlich. "Klasse", findet Frau G. das. Sie arbeitet als Sortiererin bei der Post, ihr Mann fährt Taxi, ein Steuerberater kostet viel Geld. Außerdem spricht Frau G. nicht perfekt Deutsch. "Ich kann das mit der Steuererklärung nicht allein", sagt sie.

Steuern, Renten und Zeugnisse

Der ver.di-Bezirk Frankfurt am Main und Region wurde mit dem Qualitätspreis für Mitgliederbetreuung und -beratung ausgezeichnet. Der Lohnsteuerservice für die 65000 Mitglieder des Bezirks ist nicht sein einziges Beratungsangebot: Auch Fragen zu Zeugnissen, künftiger Rente oder Arbeitsverträgen werden beantwortet, Senioren und Erwerbslose werden beraten. Es gibt zudem eine Mobbing-Hotline. "Wir wollen auch außerhalb der Tarifverhandlungen und in der ganzen Region noch besser wahrgenommen werden", sagt Rosi Haus, stellvertretende Geschäftsführerin des ver.di-Bezirks Frankfurt und Region. Eine breite, individuelle und vom Arbeitsplatz unabhängige Beratung sei sinnvoll, weil es nicht in jedem Betrieb oder jeder Niederlassung Vertrauensleute gibt. Viele Unternehmen haben ihren Sitz in Frankfurt, zum ver.di-Bezirk gehört aber auch viel Umland. Beratung gibt es deshalb zu festen Sprechzeiten nicht nur im Frankfurter Büro, sondern auch in Offenbach, in Friedberg und am Flughafen.

Vor etwa vier Jahren begann der Bezirk für seine Beratungsangebote zu werben und sie auszubauen. "Es war auffällig, wie viele Leute austraten, nachdem sie die Beitragsquittungen erhalten hatten", sagt Rosi Haus. Dass ein Mitglied mit dem Beitrag auch die Grundleistung der Gewerkschaft - ihren Einfluss auf Tarifverträge, Arbeitsbedingungen und Sozialgesetzgebung - mitfinanziere, sei nicht jedem klar. Rosi Haus kam auf die Idee, den Lohnsteuerservice auf der Rückseite der Beitragsquittungen anzubieten. Den Service gab es in den Fachbereichen Post und Telekom zwar schon immer und jeder hätte ihn nutzen können, "aber wer bisher davon erfuhr, hatte Glück". Jetzt kam der Service ins Gespräch. Der Effekt der Werbung auf der Quittung war spürbar. Immer mehr Mitglieder fragten nach den Beratungen. Ihre Zahl stieg von ein paar hundert im Jahr auf fast 3000. Die Austritte gingen zurück. Statt 20 ehrenamtlichen Berater/innen gibt es heute über 50. Rosi Haus ist klar, dass ohne Engagement, Verlässlichkeit und Professionalität der Ehrenamtlichen aus ihrer Idee nichts geworden wäre. Sie ermöglichten es, das Angebot auszubauen.

So hat Emma Gros vor zwei Jahren eine Zeugnisberatung gestartet. Im Offenbacher Büro weist sie auf rechtliche Ansprüche oder Mängel im Arbeitszeugnis hin. Emma Gros kann auf Erfahrungen als langjährige Betriebsratsvorsitzende und Stationsleiterin in einem Krankenhaus bauen. Ihre Expertise ist zunehmend gefragt. "Eine Beratung ist fast immer sinnvoll", sagt sie. Wenn nötig, übernehmen Emma Gros und ihre Kollegin auch die Korrespondenz des ratsuchenden Mitglieds mit dem Arbeitgeber oder schalten den Rechtsschutz ein.

Bis August schon ausgebucht

Alle Ehrenamtlichen werden regelmäßig geschult. "Das ist die Grundvoraussetzung für eine vernünftige Beratung", sagt Manfred Geske, der den Lohnsteuerservice koordiniert. Absolute Vertraulichkeit und Datenschutz seien Pflicht. Beraten wird in Zweierteams. Pensionäre und Rentnerinnen, aber auch Berufstätige engagieren sich. "Der Beratungsbedarf steigt", sagt Geske, insbesondere zu den Themen Altersteilzeit und Abfindungen.

Walter Denter vom Lohnsteuerservice bestätigt das. Er zeigt seinen Terminplaner: Bis in den August sind er und Manfred Schubö ausgebucht. Die Pensionäre sind ein eingespieltes Team. Beide haben bei der Telekom gearbeitet und machen diesen Job seit Jahrzehnten. Sie prüfen auch Steuerbescheide und kümmern sich um Einsprüche.

Für Frau G. haben sie eine Nachzahlung errechnet und beraten, was sie noch absetzen könnte. Jetzt schicken sie sie mit der Bitte nach Hause, noch die Betriebskostenabrechnung für die Wohnung zu faxen. "Ich suche mir dann das raus, was ich brauche", sagt Schubö. Er macht das gern. "So habe ich noch einen Bezug zur Arbeitswelt." Sein Kollege Denter ergänzt: "Man lernt Leute kennen und kann helfen." Der nächste Hilfesuchende steht schon in der Tür, die Klarsichthülle mit Papieren in der Hand. Sind sie vollständig, ist die Steuererklärung am Ende der Beratung mit einem Mausklick noch heute beim Finanzamt.

Für das Preisgeld von ver.di hat man in Frankfurt bereits ein paar Ideen: Es könnte in die Qualifizierung der Berater fließen oder dazu verwendet werden, ehrenamtliche und feste Leistungsanbieter zu vernetzen, neue Mitglieder zu informieren oder den Internetauftritt des Programms zu optimieren.


Premiere für den ver.di-Qualitätspreis

Ausgezeichnet: Manfred Geske, Petra Heß, Walter Denter, Emma Gros, Rosi Haus und Manfred Schubö (v. li. n. re.)

Folgende ver.di-Bezirke wurden mit dem Preis ausgezeichnet:

Emscher-Lippe-Nord für ein Konzept zur Mitgliederrückgewinnung

Frankfurt/Main und Region für die Bandbreite des Beratungsangebots, das weitgehend mit ehrenamtlichen Berater/innen in vier ver.di-Büros des Bezirks gewährleistet wird (Bericht auf dieser Seite)

Bremen-Nordniedersachsen für ein dreijähriges Personalentwicklungs- und Vernetzungskonzept, mit dem sich der Bezirk an Betriebs- und Personalrätenachwuchs wendet

Stuttgart für das Nachwuchsförderprogramm "Perspektive U35"

Herford-Minden-Lippe für ein erfolgreiches Konzept der Ortsvereinsarbeit und dessen Präsentation in der Öffentlichkeit

Mittel-/Nordthüringen für die Bündnisarbeit gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit

Mittelbaden-Nordschwarzwald für die Kampagne der ver.di-Jugend "Arbeit gegen rechts"

Der ver.di-Qualitätspreis ist 2010 zum ersten Mal ausgeschrieben worden. Dahinter steckt der Gedanke, guten Ideen der gewerkschaftlichen Arbeit Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Organisation zu verschaffen. Emscher-Lippe-Nord, Frankfurt am Main, Bremen-Nordniedersachsen und Herford-Minden-Lippe erhielten je 15000 Euro, Mittelbaden-Nordschwarzwald und Mittel-/Nordthüringen je 10000 Euro. Stuttgart bekam 7500 Euro. Service und Beratung gibt es natürlich auch in den anderen ver.di-Bezirken.