Tänzerinnen und Tänzer - auf der Straße statt auf der Bühne

"Ihre Intendanz sitzt doch am längeren Hebel", sagt ein Zuschauer vor dem Schillertheater in Berlin. "Aber wir haben die trainierteren Muskeln", kontert ein Tänzer. Die Umstehenden lachen, obwohl sie enttäuscht sind, dass der Ballettabend ausfällt. "Das können Sie nicht machen!", stöhnt jemand. "Wie schade", klagt eine andere Kartenbesitzerin, aber sie akzeptiert es: Die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts Berlin streiken erneut. "Wir würden viel, viel lieber auf der Bühne stehen, haben aber keine Wahl", sagen die Künstler ihrem Publikum. "Hoffentlich nützt es", hören sie am Ende.

Geschlossen ein Zeichen setzen

So etwas hat es noch nie gegeben: Tänzerinnen und Tänzer streiken für einen Tarifvertrag. Geschlossen. "Solange unsere Forderungen nicht ernst genommen werden, sind wir gezwungen, Zeichen zu setzen", haben Tarifkommission und Ballettsprecher nach dem ersten Paukenschlag am Karfreitag mitgeteilt. An dem Abend hatten sie die ausverkaufte Abendvorstellung von Dornröschen in der Deutschen Oper platzen lassen. Der Gast-Star aus St. Petersburg stellte sich mit Berliner Solisten und Corps de Ballett vors Haus. Im Foyer kam es zu tumultartigen Szenen. Teils weit angereiste Ballettfans ließen sich nur mühsam mit Erstattungsformularen beruhigen. Jemand ließ sich gar zu Beleidigungen hinreißen: "Go and dance, bitch!" (Los, geh tanzen, Hure.)

Auf 90.000 Euro dürfte sich der Verlust für die Stiftung Oper an diesem Abend beziffern. Die Tänzerinnen und Tänzer erwarteten danach ein Umdenken der Arbeitgeber. Doch ihr Direktor machte Osterurlaub, fuhr auf Dienstreise - und schwieg.

Lieber mit zahmen Kleingewerkschaften reden

Seit Herbst 2014 liegen die Tarifforderungen auf seinem Tisch. Die Tänzerinnen und Tänzer akzeptieren den sogenannten Normalvertrag Bühne/Tanz nicht, sie wollen einen modernen, auf das Berliner Staatsballett zugeschnittenen Haustarifvertrag abschließen. "Er soll berücksichtigen, welch' großes Pensum die 72 festangestellten Ensemblemitglieder mit 120 Vorstellungen im Jahr an den drei Berliner Opernhäusern und anderswo bewältigen." Das sei nicht vergleichbar mit der Tanzcompagnie eines Mehrspartenhauses, sagt Sabine Schöneburg von ver.di, die die ver.di-Mitglieder im Staatsballett seit langem begleitet. "Die Arbeitsbelastung ist stetig gestiegen. Wir werden nicht mehr betteln", sagen die.

Und noch ein Novum: Fast alle sind bei ver.di organisiert und wollen, dass ihre Gewerkschaft für sie die Verhandlungen führt. Unterschiedliche Bedingungen an den Bühnen und weite Wege müssten bei Proben- und Ruhezeiten beachtet werden. Besserer Gesundheitsschutz und gerechtere Gagenstaffelungen sind fällig. Da sei zwischen Gruppentänzern und Solisten seit langem manches aus der Balance geraten.

Direktor Georg Vierthaler hat durchblicken lassen, dass er das eine oder andere zu regeln bereit wäre, am liebsten mit zwei zahmen Kleingewerkschaften. Zusätze zu individuellen Arbeitsverträgen hat er den Tänzern angeboten. Ausstehende Gagen-Erhöhungen für die letzten fünf Jahre, die zurückgehalten wurden, müssen jetzt doch gezahlt werden. Aber mit ver.di verhandeln will Vierthaler nicht. "Das ist Erpressung", entschied die Tarifkommission. Sie fordert eine tarifliche Regelung für alle. Deshalb jetzt die Streiks. Wenn es sein muss, folgen weitere.

Mit Interesse blicken die Aktiven auch auf das Ballett des Friedrichstadtpalastes. Dort gilt seit 23 Jahren ein ver.di-Tarifvertrag. Er wird gerade neu verhandelt, die Intendanz verweigert sich dort nicht. Wer schließlich beim Staatsballett den längeren Atem haben wird, war Ende April noch offen. "Es gibt keine Logik in diesem Konflikt", sagt ver.di-Tarifsekretär Frank Schreckenberg. Auf dem Rücken von Tänzerinnen und Tänzern werde Politik gemacht. Es sei mutig, dass sie sich wehren.