Da ist viel Bewegung drin – auch wenn ver.di in Extremlagen gerät

Von Maria Kniesburges

Die Leitlinien für die nächsten vier Jahre sind gezogen: In teils ausführlichen Debatten haben die rund 1000 Delegierten des 3. Ordentlichen ver.di-Bundeskongresses vom 17. bis 24. September in Leipzig die Ziele und Positionen der Gewerkschaft festgelegt. Über mehr als 1600 Anträge aus den verschiedenen Fachbereichen, Gruppen und Ebenen der Organisation hatten die Delegierten zu entscheiden. Zahlreiche Beschlüsse wurden ohne längere Diskussionen mit großer Mehrheit gefasst, wo aber Meinungsverschiedenheiten unter den Delegierten bestanden, wurden sie auch ausgetragen. Und selbst in den kontroversen Debatten ist auf diesem 3. Bundeskongress der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di eins spürbar gewesen: Die fünf Gründungsgewerkschaften sind in den vergangenen zehn Jahren zu einer Organisation zusammengewachsen, zu einer Gewerkschaft - vereint für Gerechtigkeit, wie das Leitmotto dieses Kongresses hieß.

Es geht um eine Arbeitspolitik von unten...

Gute Arbeit, das ist auch in den kommenden vier Jahren das herausragende Ziel der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. Belastenden Arbeitsbedingungen wie steigendem Leistungsdruck und damit einhergehenden gesundheitlichen Gefährdungen setzt ver.di das "Konzept Gute Arbeit" entgegen, das vor allem auf Beteiligung setzt: "Nicht für, sondern mit den Kolleginnen und Kollegen zu handeln, und zwar eng bezogen auf ihre alltäglichen Erfahrungen in der Arbeit, auf die alltäglichen Auseinandersetzungen um Leistung und Entgelt, Belastungen und Gesundheit, Arbeitszeit und Lebenszeit - darum geht es", hob der gerade wiedergewählte ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske unter Beifall hervor. "Es geht", so Bsirske weiter, "um eine Arbeitspolitik von unten." Und damit auch um die Verankerung der Organisation im Betrieb, denn dort, daran erinnerte der ver.di-Vorsitzende mit Nachdruck, "entscheidet sich zugleich die Zukunft der Gewerkschaft".

Aber auch auf politischer Ebene wird ver.di streiten: Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten die Fortsetzung der Initiative für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Um die Frage, ob die Forderung mindestens 8,50 oder aber zehn Euro lauten müsse, entfachte sich dabei eine längere Debatte. Geeinigt haben sich die Delegierten schließlich auf die Forderung nach 8,50 Euro, die allerdings zwingend jährlich zu überprüfen sei. Oder, wie es der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske sagte: "Beginnend bei 8,50 Euro und dann ziemlich flott ansteigend in Richtung zehn Euro."

...und eine Umverteilung von oben nach unten

Vielfältig auch die Beschlüsse für eine Umkehr in der Sozialpolitik: ver.di will ein Gesundheitssystem auf der Grundlage des Solidaritätsprinzips. Daher bekräftigten die Delegierten die Forderung nach Einführung einer Bürgerversicherung, zu der alle nach ihren Möglichkeiten einen Beitrag leisten, auch die Vermögenden. Nach Jahrzehnten neoliberaler Politik mit ihren verheerenden Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Sozialsysteme muss ein grundlegender Richtungswechsel erstritten werden. Dringend erforderlich, so die Delegierten, sei etwa eine Steuerpolitik, die auch die großen Vermögen, Kapital- und Unternehmensgewinne sowie Erbschaften einbezieht. "Wir treten für Umverteilung ein", rief Frank Bsirske den Delegierten zu, "für Umverteilung von oben nach unten." Damit der Sozialstaat wieder handlungsfähig werde.

Die von Finanzspekulanten entfachte weltweite Krise habe gezeigt, dass "gebrochen werden muss mit dem Regime von Maß- und Verantwortungslosigkeit, rücksichtsloser Profitmaximierung und fortgesetzter Aushöhlung der sozialen Sicherung". ver.di, das erklärte die ebenfalls wiedergewählte Vorsitzende des Gewerkschaftsrates, Monika Brandl, müsse "eine Koalition des Widerstands organisieren gegen die Verantwortlichen für die Krise". Und zwar europaweit, unter dem Leitsatz: Europa ja, aber anders.