Hier sind wir - die ver.di-Jugend geht auf die Stühle

53 Jahre war das Durchschnittsalter der Delegierten des 3. ver.di-Bundeskongresses. Bei einem Durchschnittsbeitrag in Höhe von 28,17 Euro mögen nicht wenige innerlich dem Delegierten zugestimmt haben, der in den Saal rief: "Das sollte umgekehrt sein." "Erschreckend" fand Cedric Sommer das Durchschnittsalter. Mit einer vier vorne habe er schon gerechnet, sagte der Abiturient, der mit 18 Jahren der jüngste unter den Delegierten war. Doch unter den vielen vermeintlich "alten" Menschen fühlte er sich gut aufgehoben: "Wir haben viele unterstützende Stimmen bekommen."

56 Jugendliche hatten die verschiedenen ver.di-Ebenen insgesamt nach Leipzig delegiert. Jugendlich im gewerkschaftlichen Sinne bedeutet ein Alter unter 28 Jahren. Damit lag die Zahl der jugendlichen Delegierten knapp über dem Anteil, den die unter 28-Jährigen insgesamt an der Mitgliedschaft haben.

Die ver.di-Jugend hatte viele Anträge eingebracht. Meist stand sie mit ihrer Meinung nicht allein da, auch wenn manchmal erbittert diskutiert wurde, wie über ein Veto-Recht für Jugendvertreter/innen bei Tarifverhandlungen, gefordert im Antrag E 113. Einig waren sich die Delegierten, dass die Interessen jugendlicher Beschäftigter und Auszubildender hinreichend zu berücksichtigen seien. Doch soll man der Jugend noch ein Veto-Recht einräumen? Ja, sagte Tanja Aumer, Delegierte des Fachbereichs Postdienste, Speditionen, Logistik, hat sie doch das Gefühl, dass die Forderungen der Jugend nicht immer bei den Arbeitgebern eingebracht werden.

Aus aktiven Jugendlichen werden erwachsene Aktive

Dem hielten ältere Delegierte entgegen, dass die Jugendlichen durchaus Möglichkeiten genug hätten, ihre Forderungen in Tarifkommissionen einzubringen und zu vertreten. Eine große Mehrheit sprach sich nach einer langen, hitzigen Debatte gegen das Veto aus. Eine Spaltung in Jung und Alt? Manche, mittlerweile ergraute Delegierte, erinnerten sich daran, wie sie vor vielen Jahren als Jugendliche mit einigen ihrer Forderungen Kongresse provoziert hatten. "Nur mit gegenseitiger Reibung können wir weiterhin gute Ideen und gute Konzepte schaffen", sagte Karina Lange, jugendliche Delegierte aus dem Bezirk Bochum-Herne. Sie forderte dringend die Wissensweitergabe auch innerhalb der Organisation ein. Nur gemeinsam könnten es die Generationen in ver.di schaffen, viele erfahrene Personen in der Gewerkschaft zu haben und den Altersdurchschnitt zu senken.

Ausbildung und Übernahme gehören zusammen

Ein gesicherter Einstieg in das Berufsleben

Bei anderen Themen herrschte generationenübergreifende Einigkeit. "Ausbildung und Übernahme gehören zusammen" beschlossen die Delegierten im Antrag E 101. Auch bei der Ablehnung aller Formen prekärer Beschäftigung stand im Hintergrund oft der Gedanke, jungen Menschen einen guten Einstieg ins Berufsleben zu verschaffen. Einig war man sich auch darin, dass Jugend nicht nur heißt: junge Gesichter auf einem Bundeskongress. "Wir haben in ver.di und auch in unseren betrieblichen Gremien deutliche Nachwuchsprobleme. Das betrifft nicht nur die Jugend, sondern auch den Altersbereich von 28 bis ungefähr zu unserem Altersschnitt", sagte Lukas Graf, Delegierter aus dem Bezirk Südwestfalen. Er forderte alle Delegierten auf, sich mal den Altersdurchschnitt in den betrieblichen Gremien anzusehen - und sich dann über Nachwuchsförderung Gedanken zu machen. Das sollte aber keinesfalls so aussehen, wie Thomas Hampel, Delegierter des Fachbereichs Postdienste, Speditionen, Logistik es ironisch beschrieb: Da sei ein engagiertes Mitglied einer Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) beim altersbedingten Wechsel in den Betriebsrat schon gut bedient, wenn es auf der Wahlliste für ein 17er-Gremium auf Platz 57 komme.

Stimmung für ver.di

Doch zu welchem Zeitpunkt verliert ver.di ihre jugendlichen Mitglieder? "Meistens genau an der Schnittstelle von Ausbildungsende und Übergang ins Beschäftigungsverhältnis", sagte Björn Borgmann, Delegierter des Fachbereichs Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen. "Da müssen wir umdenken. An dieser Stelle müssen wir uns für diese Kolleginnen und Kollegen einsetzen." Dass in der Betreuung einiges im Argen liegt, machten auch Ines Rohde, freigestellte Hauptjugend- und Auszubildendenvertreterin des Landes Berlin, und Jeremy Arndt, freigestellter Jugend- und Auszubildendenvertreter der Berliner Verkehrsbetriebe, deutlich. "Suchen Jugendsekretärin in Berlin-Brandenburg. Bei Interesse bitte melden", stand auf einem Plakat, das die beiden gut sichtbar an ihren Platz gehängt hatten. Seit die Landesjugendsekretärin im Sommer in den Mutterschutz gegangen ist, steht die ver.di-Jugend in Berlin und Brandenburg ohne hauptamtliche Gewerkschaftssekretär/in da. "Bisher gab es nur Notlösungen", sagt Jeremy Arndt, "das ist katastrophal. Von unserer Jahresplanung konnten wir noch nicht viel umsetzen. Uns fehlt die hauptamtliche Unterstützung bei den Aktionen." Das Ehrenamt übernehme die Aufgaben, ergänzt Ines Rohde: "Gefühlt bin ich jeden Tag bei ver.di. Dabei haben wir noch unseren Beruf."

Veränderte Altersstruktur

Kein Einzelfall. Marko Steinborn, Delegierter des Fachbereichs Verkehr, sprach von einer "tickenden Zeitbombe". Er forderte die Fachbereiche auf, aktiv auf die Jugendlichen zuzugehen, ihnen auch in Erwachsenengremien eine Chance zu geben: "Nur dann haben wir auch zukünftig eine Chance, unsere Arbeit auf viele Köpfe zu verteilen und zu delegieren und die Arbeit selber so zu gestalten, dass sie realisierbar ist. Auf diese Weise bekommen wir vor allen Dingen auch eine vernünftigere Altersstruktur und werden somit durchsetzungsfähiger."

Auch bei den ver.di-Beschäftigten soll sich die Altersmischung ändern. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske kündigte an, dass es einen zentralen Ausbildungsgang für Nachwuchskräfte geben soll. "Die Gewinnung und Ausbildung von guten Nachwuchskräften" gehöre zu den "herausragenden Aufgaben in der Personalarbeit von ver.di". Eingestellt werden sollen insbesondere Kolleg/innen mit Migrationshintergrund.