Ausgabe 05/2008
Die Unabhängige
Von Inken Petersen |Heide Pfarr ist eine streitbare Frau - und Leiterin der Hans-Böckler-Stiftung sowie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts. Derzeit beschäftigt sie sich mit der Zersiedelung der Gewerkschaftslandschaft
Von Inken Petersen
"Ich musste mich nie bewerben, ich wurde immer gefragt"
"Diese Kriecher!" Heide Pfarr gibt sich keine Mühe, ihre Empörung zu verbergen. "Ich bin furchtbar sauer!" Die Juristin sitzt im obersten Stockwerk der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Sie ist die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) hier und zugleich Geschäftsführerin der gewerkschaftsnahen Stiftung. Über ihr ist nur noch der Himmel.
Gerade aber geht es um die Hölle, genauer gesagt um ihren nächsten Forschungsschwerpunkt am WSI, er heißt "Das Arbeitsrecht vor dem Hintergrund einer sich verändernden Gewerkschaftslandschaft". Gemeint sei die wachsende Zahl kleiner, eher unbekannter Gewerkschaften in Deutschland, schimpft sie. Die holten entweder für eine durchsetzungsstarke Berufsgruppe - Beispiel Ärzte, Beispiel Piloten - innerhalb einer Branche maximale Tarifabschlüsse heraus und kümmerten sich wenig darum, wie es dem Rest der - häufig weniger eloquenten und schlechter bezahlten - Kollegen gehe. Oder, schlimmer noch: Sie ließen zu, dass Arbeitnehmerrechte aufgeweicht würden - in dem Irrglauben, mit ihrem Unterbietungswettbewerb Arbeitsplätze zu sichern. "Natürlich hat das Auswirkungen auf das Arbeitsrecht insgesamt."
Heide Pfarr beobachtet diese Entwicklung wissenschaftlich, empirisch - und voller Wut. Dies widerspricht ihrer Überzeugung, wegen der sie bereits vor knapp vier Jahrzehnten als junge Rechtsreferendarin der damaligen ÖTV beitrat: "Ich wollte ganz bewusst zusammen mit den Müllwerkern und dem Krankenhauspersonal organisiert sein. Ich wusste, dass eine Gewerkschaft nur dann stark ist, wenn die Solidarität auch von Mitgliedern kommt, die eine gewisse Position der Stärke vertreten." Und damit man sie nicht missversteht: "Es geht ja nicht darum, dass ich persönlich eine starke Gewerkschaft brauchen würde."
Heide Pfarr hat früh für ihre berufliche Unabhängigkeit gesorgt: 1977, mit 33 Jahren, folgt sie einem Ruf als Professorin für Arbeitsrecht an die Universität Hamburg, sieben Jahre später, mit knapp 40, wird sie dort Vizepräsidentin, als erste Frau in der Geschichte der Universität. Ihre Professur kann sie in den folgenden Jahrzehnten immer wieder vorübergehend ruhen lassen, wenn andere berufliche Abenteuer sie locken, um sodann, nach vollendeter Mission, ihr Rückkehrrecht in Anspruch zu nehmen.
Sie weiß um ihr Privileg. "Ich bin nicht erpressbar", sagt sie. "Das ist ein gutes Gefühl, gerade, wenn man ein wissenschaftliches, aber gewerkschaftsnahes Institut leitet." Sie erwähnt ihre besondere Stellung gern, wenn etwa jemand versucht, die Forschungsergebnisse des WSI abzuqualifizieren. Oder wenn umgekehrt von Gewerkschaftsseite Wünsche an sie herangetragen werden: "Wissenschaftlich gestützte Politikberatung ja, Propaganda nein", kann sie dann erwidern, und ansonsten tschüs. So einfach ist das.
Hierher, nach Düsseldorf holte sie 1995 der damalige DGB-Chef Dieter Schulte. Pfarr sollte das verschnarchte Image der Stiftung und ihres wissenschaftlichen Instituts aufpolieren, den Laden ein bisschen aufmischen und ihm ein neues Profil verschaffen.
Gespräche wie Blitzschach
Heide Pfarr gehört nicht zu den Frauen, die Beschützerinstinkte hervorrufen. Sie ist klein, sie ist zierlich, aber die Stimme verrät, wie energisch sie sein kann. Ein Gespräch mit ihr ist zuweilen wie Blitzschach. Frage, Antwort, Frage, zackzackzack. Und wehe, man leistet sich einen Moment der Unkonzentriertheit. Mittelmaß erträgt sie nicht. Wer intellektuell mit ihr mithalten könne, das berichten ehemalige Studenten und Mitarbeiter, der dürfe sich ihrer geradezu militanten Förderung erfreuen. Die anderen grenze sie gnadenlos aus. Heide Pfarr wird entweder vergöttert oder verabscheut, so war das ihr Leben lang. Im Oktober wird sie 64 Jahre alt.
Wie viele politisch Aktive ihrer Generation, der 68er, ist Heide Pfarr ein Bürgerkind. Ihr Vater ist Zahnarzt. "Er war nicht an der Front, er war Sanitäter." Pause. "Er war nicht mal Antisemit." Sie klingt beinahe vorwurfsvoll, dann lacht sie über sich selbst: "Er war nicht gut zum Abarbeiten." Dafür finden sich andere: ehemalige Nazis, die weiterhin an Universitäten lehren oder an Gerichten Recht sprechen. Der Vietnamkrieg. Berufsverbote. "Diese ganze repressive Gesellschaft damals, Mann, was waren wir moralisch, die ganze Welt war böse, aber wir waren die Guten!"
Ihr Lebensthema, die Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben, findet auf ähnliche Weise zu ihr: weniger über ein Schlüsselerlebnis oder persönliche Betroffenheit, denn über die gesellschaftliche Analyse und ihre Erfahrungen als Arbeitsrechtlerin.
Sie erscheint unaufhaltsam
1971, in Bonn regiert Willy Brandt, tritt sie in die SPD ein. "Das war meine Antwort darauf, mich einer Verantwortung zu stellen, selbst Position zu beziehen und nicht immer nur alles besser zu wissen." Für die Bundesregierung erarbeitet sie eine Studie zu geschlechtsspezifischer Entgeltdiskriminierung, 1972 verfasst sie für die Materialien zum Bericht der Lage der Nation das Kapitel "Arbeitsrecht".
Sie ist nicht nur Expertin in ihrem Fachbereich, sie ist in den siebziger Jahren auch eine Ausnahmeerscheinung: "Ich musste mich nie bewerben, ich wurde immer gefragt." Sie legt Wert auf diese Feststellung. 1983 potenzielle Justizministerin im Schattenkabinett des schleswig-holsteinischen Spitzenkandidaten Björn Engholm, 1989 Senatorin für Bundesangelegenheiten der rot-grünen Regierung in Berlin.
Ihre Karriere scheint bruchlos und unaufhaltsam. Zur Krise kommt es 1993, da ist sie gerade zwei Jahre Frauen-, Arbeits- und Sozialministerin in Hessen. Ein Job, der ihr wie auf den Leib zugeschnitten zu sein scheint: Heide Pfarr setzt für sich - einmalig in Deutschland - in allen Frauenfragen ein ressortübergreifendes Mitzeichnungsrecht durch. Sie sorgt dafür, dass ihrem Ministerium die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit zugeschlagen wird. Versucht das Kabinett, sie auszubremsen, führt sie anderslautende Parteitagsbeschlüsse herbei - und gewinnt. Weibliche Lebensentwürfe, die nicht ausschließlich karriereorientiert sind, finden ihr harsches Urteil. Es knirscht - in der SPD wie in der Öffentlichkeit.
"Das Furchtbarste war, zuzusehen, wie man demontiert wird", sagt sie rückblickend. Es ging um 50000 Mark Renovierungskosten aus Landesmitteln für ihre Privatwohnung am Dienstort Wiesbaden. Ausgerechnet ein Vertrauter aus der SPD, das weiß sie inzwischen, steckte das der Boulevardpresse. Die Untreue sei nie vorsätzlich gewesen, stellte später die Staatsanwaltschaft fest; Heide Pfarr treffe keine Schuld. Da war sie längst gegangen.
Heute weiß sie: Sie hatte es versäumt, rechtzeitig nach Verbündeten zu suchen, Netzwerke zu schaffen, Kompromisse zu schließen, auch mal faule. Aber wenn das Politik ausmacht - dann eben ohne sie. Sagt sie in ihrem Düsseldorfer Büro. Sie muss sich jetzt um die kleinen Gewerkschaften kümmern. Für Heide Pfarr gibt es immer nur Alles oder Nichts.
Heide Maria Pfarr wird als zweitjüngstes von sechs Geschwistern am 12. Oktober 1944 in Godendorf/ Mecklenburg geboren, sie wächst in Berlin auf. Dort erlebt sie 1961 den Mauerbau: "Die DDR war für mich nie das bessere Deutschland." Pfarr, die einst - ganz 68erin - biologisch-dynamische Landwirtin werden wollte und sich dann doch für die bürgerlichere Jura-Professur entschied, ist in zweiter Ehe mit Thomas Dieterich, Richter am Bundesverfassungsgericht, verheiratet. Das Paar lebt in einem Einfamilienhaus in Hessen. "Das", sagt sie selbstironisch, "ist dem Mädchen aus Kreuzberg nicht an der Wiege gesungen worden." Pfarr besitzt mehrere Pferde, malt und stellt eigene Glasperlen her. Für die Zeit nach ihrem 65. Geburtstag träumt sie unter anderem davon, endlich Bienen zu haben. "Das wird natürlich eine Bienen-Genossenschaft sein."