Arbeiten - und trotzdem gesund bleiben

Nachtschichten ohne Pausen, schwere Lasten, die auch noch balanciert werden müssen. Lärm, fehlende Schutzkleidung und unbequeme Stühle, zu viel Arbeit für zu wenige Kräfte. Es gibt viele Ursachen für Erkrankungen am Arbeitsplatz. Viele Betriebs- und Personalräte tun etwas dagegen. Beispiele aus vier ver.di-Branchen und fünf Städten

Kreative Arbeit mit Kindern, ein Traumberuf. Wenn die Arbeitsbedingungen besser wären und mehr Nachwuchs käme, der auch gehalten werden kann

Balanceakt im Supermarkt

Einzelhandel - Bei Kaufland in den Gropiuspassagen Berlin

Morgens um halb sieben in Berlins größtem Einkaufszentrum, den Gropiuspassagen: Bei Kaufland beginnen Verkäuferinnen, die Waren in die Regale zu räumen. Mit Hubwagen werden Paletten zu den Regalen gerollt, hoch bepackt mit Kartons.

2 Meter 40 ist die Ladehöhe der Liefer-Lkw, und weil Logistikkapazitäten bares Geld sind, sind die Paletten bepackt, so hoch es nur geht. Die Frauen klettern auf Stehleitern, greifen die Kartons mit beiden Händen und balancieren sie nach unten. Das grenzt an Akrobatik. Wenn ab sieben Uhr die ersten Kunden durch die Gänge strömen, wird die Aufgabe nicht einfacher.

"So geht es nicht, haben wir zum Hausleiter gesagt", berichtet die Betriebsratsvorsitzende Kristina Kroß. Angemessene Hilfsmittel müssten her, um die Paletten sicher abpacken zu können. Dann stellen wir eben nur noch große Männer ein, lautete die Antwort.

Handschuhe, Packhöhe und andere Probleme

Kristina Kroß und ihr Betriebsrat überlegten, was zu tun sei. Weil die Probleme in anderen Filialen ähnlich sind, gingen sie über den Gesamtbetriebsrat der Kaufland-Tochterfirma, zu der ihr Markt und neun weitere gehören, die über das Bundesgebiet verstreut sind. Es ist eine von vielen Kaufland-Gesellschaften im unübersichtlichen Unternehmensgeflecht der Schwarz-Gruppe. Geeignete Abladehilfen, Begrenzung der Packhöhen auf zwei Meter, Arbeitshandschuhe - das waren die zentralen Forderungen.

Doch Kaufland spielte auf Zeit: Über eine Betriebsvereinbarung verhandele man nicht, sondern führe allenfalls "Sondierungsgespräche". Oder: Man engagiere sich auch ohne Betriebsrat bereits ausreichend für den Gesundheitsschutz. Zum Beleg veranstaltete Kaufland gemeinsam mit einer Krankenkasse einen "Gesundheitstag". Beschäftigte konnten ihre Sehstärke und ihren Body-Mass-Index bestimmen lassen und bunte Werbeflyer nach Hause tragen. "Schön und gut", sagt Kristina Kroß, "aber das löste unsere Probleme nicht." Nach anderthalb Jahren erfolgloser Gespräche ging die Angelegenheit schließlich vor die Einigungsstelle. Doch ein Ergebnis kam dort nicht zustande. Das Gremium sei formal nicht ausreichend durch die Betriebsräte der einzelnen Filialen beauftragt gewesen, befand die Vorsitzende. "Daran soll es nicht scheitern", sagt Kroß, "denn alle Betriebsräte stehen hinter unserem Entwurf."

Betriebsratswahl gegen Widerstände durchgesetzt

Jetzt stehen wieder Betriebsratswahlen an. Mit Unterstützung des Arbeitgeberverbandes hat das Kaufland-Management versucht, die Wahl mit einer einstweiligen Verfügung zu stoppen. Die Wahlausschreibung hatte eine Beschäftigungsprognose von 200 Arbeitnehmern zugrunde gelegt, doch Kaufland hat die Zahl im Laufe des letzten Jahres auf 187 gedrückt. Die schieben Überstunden ohne Ende vor sich her - 5000 allein von September bis Januar. "Unsere Leute fallen um", sagt Kristina Kroß, "der Krankenstand ist dramatisch gestiegen." Der Markt müsse neue Leute einstellen, und zwar "im höheren zweistelligen Bereich". Ende März konnten Betriebsrat und Wahlvorstand die Eilverfügung vor dem Landesarbeitsgericht kippen. Die Wahl kann jetzt wie geplant stattfinden. "Wir sind optimistisch", sagt Kroß. "Und nach der Wahl gehen wir das Thema Gesundheitsschutz mit neuer Kraft an."

Björn Boewe


Gut für den Rücken: nach der Schicht noch in den Fitnessraum

Einen Wunsch haben sie frei

Nahverkehr I - Demografie-Tarifvertrag in Hamburg

"Busfahren ist ein belastender Job, nicht so sehr körperlich, da gibt es inzwischen recht gute ergonomische Lösungen, sondern vor allem psychisch", sagt Thomas Scheel, Betriebsratsvorsitzender bei den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein (VHH). Das zweitgrößte Busverkehrsunternehmen Norddeutschlands mit rund 1650 Beschäftigten befördert in 558 Bussen jährlich 106 Millionen Fahrgäste. Der demografische Wandel ist im Unternehmen längst Realität: Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter/innen liegt heute bei etwa 50 Jahren - Anlass für ver.di und den VHH-Betriebsrat, mit der Geschäftsleitung den "Tarifvertrag zum demografischen Wandel und zur Generationsgerechtigkeit" auszuhandeln. 2012 trat er in Kraft. "Damit wurde bei vielen ein Nerv getroffen", so Scheel, "es kommt nicht oft vor, dass sich Beschäftigte direkt bei uns bedanken." In der Struktur stützt sich die Vereinbarung auf das Modell "Haus der Arbeitsfähigkeit" des finnischen Arbeitsmediziners Juhani Ilmarinen. Es umfasst Ist-Analysen, den "Arbeitsbewältigungsindex" und den "Anerkennenden Erfahrungsaustausch". Davon werden praktische Maßnahmen für die tägliche Arbeit abgeleitet. Die kritischen Punkte im Betrieb: Erholungszeiten, Länge und Lage der Schichten, Bewältigung der psychischen Anforderungen und die Führungskultur.

Rente mit 67 - für busfahrer ein Witz

Vieles hat sich inzwischen verändert: Auf allen Höfen gibt es Fitnessräume, Massageangebote und frisches Obst. Mindestens ebenso wichtig ist die neue Führungskultur. Deswegen dringt der Betriebsrat darauf, "dass sich die Führungskräfte in puncto Mitarbeiterführung fortbilden". Er erinnert sie daran, dass das tarifvertraglich festgeschrieben ist. Während früher rund 300 Leute auf einen Betriebsleiter kamen, sind es heute 150. So ist es möglich, das Instrument des "Anerkennenden Erfahrungsaustauschs" einzusetzen. Regelmäßig führen die Betriebsleiter mit jedem Beschäftigten ein Gespräch auf der Grundlage eines vorgegebenen Fragenkatalogs. Sie geben die Rückmeldung: "Wir sehen dich und deine gute Arbeitsleistung." Das motiviert.

Weitere Elemente des Pakets sind die Reduzierung besonders belastender Schichten, der zusammenhängende Urlaub und das Recht, Urlaubsgeld in Freizeit umzuwandeln. Mit einer Rehaklinik kooperiert das Unternehmen, Nachtschichten werden gerechter verteilt.

Hart erkämpft wurden zusätzliche Erholungszeiten. Das sind Entlastungstage für Beschäftigte ab 55. Bis zu zehn davon können jährlich beantragt werden. Sie stehen im Tarifvertrag unter Vorbehalt: In etwa einem Jahr soll ihre Wirkung geprüft werden. Sollte der Krankenstand unter denen, die Entlastungstage genommen haben, um nur ein Prozent gesunken sein, wird die Regelung entfristet. Falls nicht, wird sie weitere zweieinhalb Jahre beobachtet. "In unserer Branche ist die Rente mit 67 im Grunde ein Witz: Im Schnitt werden Busfahrer/innen mit 62 erwerbsunfähig", sagt Scheel. "Wenn wir es schaffen, das nur um ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr hinauszuschieben, haben wir schon viel gewonnen." Aus betriebsärztlicher Sicht ist es für Arbeitnehmer gut, wenn sie Arbeitsumfeld, -pensum und -rhythmus frei gestalten können. Für Busfahrer mit ihren Dienstplänen ist das undenkbar. Zum Ausgleich dürfen die Kolleg/innen in Hamburg sich etwas wünschen: "Wenn jemand etwa ein halbes Jahr nur Frühschichten fahren möchte, versuchen wir, das zu ermöglichen", sagt Thomas Scheel.

Ute Christina Bauer


"Alles, was Geld kostet, findet nicht statt"

Öffentlicher Dienst - Probleme in der Stadtverwaltung und den Kitas in Dresden

Auf dem Papier ist in der Dresdner Stadtverwaltung alles wunderbar. Eine Betriebsärztin gibt es, eine Gesundheitsmanagerin, regelmäßige Gesundheitstage, einen Arbeitsschutzausschuss und seit einem Jahr sogar eine Projektgruppe Gesundheitsmanagement, die eine Mitarbeiterbefragung durchführt. Trotzdem gerät Ines Leiteritz in Wallung, wenn man sie auf den Gesundheitsschutz anspricht. Die Gesamtbetriebsratsvorsitzende ist verärgert. "Was gesetzlich vorgeschrieben ist in Sachen Arbeitsschutz, wird mit Ach und Krach umgesetzt", sagt sie. Bei allen anderen Problemen werde kein Geld ausgegeben oder "man schiebt Gründe vor, warum man da keinesfalls was machen kann."

Große Baustellen, wenig Geld

Dabei gäbe es durchaus einiges zu tun: In vielen Gebäuden, die die Stadt für ihre Mitarbeiter angemietet hat, gibt es keinen ausreichenden Sonnenschutz, im Sommer sind die Räume vollkommen überhitzt. Die Lärmbelastung durch Baustellen ist hoch, es mangelt an Räumen, in denen die Mitarbeiter/innen sich umziehen können. "Von Duschen reden wir erst gar nicht", sagt Leiteritz. Ihr Kollege Bela Marosi, Monteur und Personalrat, ergänzt: "Für die Leute vom Winterdienst, die wochenlang in Wechselschichten schuften, gibt es keine Verköstigung, die können sich zwischendurch an der Tankstelle ein Brötchen holen." Die Betriebsärztin sei vollkommen überlastet. In miserablen Räumen sei sie zuständig für 4000 Leute in der Kernverwaltung - mit wenigen Stundenanteilen.

Von der Mitarbeiterbefragung erhofft sich Ines Leiteritz wenig. "Das hatten wir 2007 schon einmal. Und es gibt Dinge, die damals bemängelt wurden und sich bis heute nicht geändert haben." So gebe es bis heute für die 11.000 Mitarbeiter/innen von Stadtverwaltung und Eigenbetrieben keine Kantine. Das Gesundheitsmanagement der Stadt beschränke sich auf kosmetische Maßnahmen. "Da werden den Leuten Seminare angeboten, was sie zum Beispiel zum Stressabbau tun können. Wenn aber überall Personalabbau stattfindet, keine Angebote für ältere Mitarbeiter gemacht werden, in weniger stressigen Bereichen eingesetzt zu werden, und es keinerlei psychische Gefährdungsbeurteilungen gibt, dann ist das allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein." Bela Marosi hat wenig Hoffnung, dass die Lage sich deutlich bessert: "Alles, was Geld kostet, findet nicht statt."

Nicht nur Kinderstühlchen

Dass Personalmangel das Hauptproblem ist, diese Erfahrung macht Anke Gießler-Lachmann. Die Leiterin einer Dresdner Kita hat ihre Einrichtung nach einem Umbau gerade neu eingerichtet. Jetzt ist der Lärmschutz auf dem neuesten Stand, außerdem haben alle Erzieher/innen wieder Schreibtische. "Nach der Wende galt es als verpönt, dass die Erzieherinnen auf normalen Stühlen an Schreibtischen saßen, da flogen diese Möbel komplett raus." Heute sind sie wieder da, weil alle wissen, dass es den Beschäftigten Rückenprobleme bereitet, ausschließlich auf Kinderstühlchen zu sitzen. "Alles, was wir materiell brauchten, haben wir ohne Probleme bekommen", sagt Gießler-Lachmann. "Das Hauptproblem besteht aber weiter: der schlechte Personalschlüssel."

Wenn es darum geht, wie viele Kinder eine Erzieherin betreut, findet sich Sachsen im bundesweiten Vergleich ganz hinten. Bei einem Verhältnis von eins zu sechs liegt er in der Krippe, im Kindergarten kümmert sich eine Erzieherin um 13 Kinder - jedenfalls auf dem Papier. Weil Elterngespräche, Vor- und Nachbereitung der Arbeit und Urlaub nicht eingerechnet werden, ist die Betreuungssituation in der Praxis noch schlechter. "Die riesigen Gruppen und der permanente Personalmangel sind das, was meine Mitarbeiterinnen krank macht", sagt die Kita-Leiterin. "So lange sich daran nichts ändert, nützt mir auch das großzügigste Budget für die Ausstattung der Arbeitsplätze nichts." Dass sich auf absehbare Zeit etwas ändern könnte, glaubt sie noch nicht. Für den in Sachsen anstehenden Landtagswahlkampf habe keine der Parteien das Thema überhaupt aufgegriffen. Susanne Kailitz


Irgendwie muss ein bisschen Entspannung doch möglich sein

Rote Ampel für rote Dienste

Nahverkehr II - Projekt für bessere Dienstpläne bei der Rheinbahn Düsseldorf

Ob am Steuer oder an der Kurbel: Fahrer/innen im Nahverkehr kämpfen sich stundenlang durch den dichten Straßenverkehr und müssen sich mit manchmal auch aggressiven Fahrgästen auseinandersetzen. Weil in den meisten Verkehrsbetrieben großer Rationalisierungsdruck herrscht, verdichtet sich die Arbeit immer mehr. Ungünstig liegende, häufig wechselnde Schichten, zu wenig freie Wochenenden, zu kurze Regenerationspausen und oft auch ergonomisch ungünstige Arbeitsplätze tun ein Übriges: Laut Studien aus den 1990er Jahren werden Fahrer/innen im Öffentlichen Personennahverkehr statistisch nach 22 Jahren fahrdienstuntauglich. Derzeit prüft die zuständige Verwaltungsberufsgenossenschaft, ob sich inzwischen etwas daran verändert hat.

Bei der Düsseldorfer Rheinbahn AG, einem Unternehmen mit rund 2600 Beschäftigten, wurde der Betriebsrat aktiv. Schon lange klagten die Beschäftigten über hohe physische und psychische Belastungen. Mit einem Projekt zur Arbeitszeitgestaltung, an dem zurzeit noch intensiv gearbeitet wird, will der Betriebsrat Belastungen reduzieren und gerechter verteilen.

Die Testphase endet, und weiter geht's

Die Initialzündung gab 2010 eine ver.di-Diskussion über eine Belastungsmessung in Bezug auf die demografische Entwicklung und die Dienstgestaltung. Der Betriebsrat griff die Idee auf und entwickelte eine auf das Unternehmen zugeschnittene Belastungsampel. Dafür wurden alle Fahrdienste unter die Lupe genommen - je nachdem, wie belastend eine Schicht für die Fahrer/innen war, erhielt sie mehr oder weniger Punkte. Anschließend ordnete der Betriebsrat die Schichten einem Ampelsystem zu: Bei einem Dienst mit vielen Belastungspunkten stand sie auf rot, bei einer mittleren Anzahl auf gelb, bei einer geringen auf grün. Das war der Anfang. Das Ziel: 2015 sollen rote Dienste ganz abgeschafft und in den gelben oder grünen Bereich gebracht worden sein.

Zunächst wurden dafür die Fahrzeiten analysiert und überarbeitet. Berücksichtigung fanden Dienstlängen, Fahrzeiten und anderes. Dabei stellte sich heraus, dass mehr Dienstplanstunden nötig sind, und die Beschäftigten erreichten, dass der Arbeitgeber für jährlich 2,6 Millionen Euro 58 neue Fahrer/innen einstellt.

Schon 2013 konnten rote Dienste stark zurückgefahren werden. Doch es geht immer noch darum, weitere Erfahrungen zu sammeln und die Parameter zu verbessern: Fahrzeiten müssen kontinuierlich beobachtet und angepasst werden - weil sich Verkehrsströme ändern, weil eine bestimmte Linie vielleicht mehr Fahrgäste hat als noch vor einem Jahr. "Die Belastungsampel muss nachjustiert werden", sagt der Betriebsratsvorsitzende Uwe David. Zum 30. Juni ist sie erst einmal gekündigt worden. "Nach einer Testphase. So war das von Anfang an gedacht: mit einer Kündigungsmöglichkeit für die Ampel, damit sie verbessert werden kann."

In diesem Jahr will der Betriebsrat beim Arbeitgeber durchsetzen, die Ampel so zu verändern, dass die Schichtlängen kürzer werden. Außerdem soll die nächste Stufe besprochen werden, die auch Alter, Gesundheitszustand und Länge der Betriebszugehörigkeit der Fahrer/innen berücksichtigt. So soll es gelingen, dass Lasten gerecht auf die Beschäftigten verteilt werden und alle bei guter Gesundheit bis zur Rente durchhalten können.

Für das Projekt "Belastungsorientierte Dienstplanung" erhielten die Düsseldorfer 2013 beim Deutschen Betriebsrätepreis den Sonderpreis in der Kategorie "Gute Arbeit". Ute Christina Bauer


Nachtschichten auf verlassenem Gelände

Wachschutz - Noch viel Handlungsbedarf in Sachen Arbeitsschutz in München - und nicht nur dort

Ihr Job ist hart. Wenn alle Welt schläft, machen Wachleute ihre Kontrollgänge. Streifen über verlassene Betriebsgelände und durch Kühlhäuser. Sitzen allein auf ihren Posten, nur Kaffee und Cola halten wach. Bei Tag brennt die Sonne im Sommer manchmal so heftig vom Himmel, dass es im Kabuff zum Ersticken heiß wird. Der Stuhl, auf dem sie ihre Arbeitszeit verbringen, kann ein abgesessener Chefsessel sein oder ein karger Küchenstuhl: An ergonomische Bedürfnisse angepasst ist er nicht.

Wer im Wach- und Sicherheitsgewerbe arbeitet, führt aus Sicht des Gesundheitsschutzes ein riskantes Leben. Denn die Arbeit soll vor allem eins sein: billig. ver.di hat viele wichtige Papiere zum Thema Gesundheitsschutz erarbeitet. Hans-Peter Kilian, Betriebsratskandidat und aktiver ver.dianer in München, sieht in seiner Branche dringenden Handlungsbedarf. "Die Berufsgenossenschaft prüft recht lax, Betriebsräte gibt es nur selten", sagt der 62-Jährige, der als Wachmann vor Jahren selbst im Dienst stürzte und sich eine Knieverletzung zuzog.

Zwölf Stunden ohne geregelte Pausen

Ein großes Gefahrenpotenzial steckt in den Arbeitszeiten: Zwölf Stunden Nachtschicht arbeiten viele seiner Kollegen, ohne geregelte Pausen. Übermüdung ist die Folge, kurzfristig kann es so zu Unfällen kommen, Stürzen etwa, langfristig sind auch Herz und Kreislauf bedroht. Hinzu kommen Nierenprobleme, weil die Wachleute den Gang zur Toilette meiden. Fehlt die richtige Schutzkleidung, sind auch Streifzüge durch Kühlhäuser gesundheitlich riskant. Viele Arbeitgeber, so Uwe Ziermann, der Vorsitzende des regionalen ver.di-Arbeitskreises Sicherheit, sparen an Dienstkleidung und Ausrüstungen. Das Gleiche gilt für den Sonnenschutz im Sommer. Häufig fehlt er ganz. "Vor einigen Jahren wurden noch Schulungen zur Unfallverhütung und Eigensicherung durchgeführt", sagt Ziermann. "Das ist schon lange nicht mehr der Fall. Belehrungen werden nur noch unterschrieben."

Der Kunde sucht sich den kostengünstigsten Anbieter, der Arbeitgeber verknappt den Arbeitsschutz: So bleiben konkrete Probleme ungelöst. Während die Polizei ihre Fahrzeuge mit Digitalfunk ausrüstet, müssen Wachmann und Revierfahrer, wie Ziermann berichtet, mit Handys vorlieb nehmen. Aber wie sieht es mit der Sicherheit aus, wenn man kein Netz hat?

Vor vier Jahren schon mahnte Hans-Peter Kilian eine besondere Gefährdung für Mitarbeiter im Geldtransport an: Bei Überfällen auf Werttransporter wurden Farbrauchpatronen gezündet. Die Patronen enthielten krebserregende Stoffe. Inzwischen wurden diese Patronen verboten - eine gute Nachricht. Doch es bleibt viel zu tun. Nicht nur die körperliche, auch die seelische Gesundheit in der Branche steht auf dem Spiel. "Die psychosozialen Belastungen sind groß", sagt Kilian. Erfolgserlebnisse gebe es kaum. Langweile und Einsamkeit peinigten während der Arbeitszeit, ständige Nacht- und Wochenendschichten isolierten auch in der Freizeit. "Freundschaften gehen kaputt, Familien zerbrechen. Die Scheidungsraten sind hoch." Sein größter Wunsch sind daher Tarifverträge für den Arbeits- und Gesundheitsschutz im Wach- und Sicherheitsgewerbe. Monika Goetsch