Vertragslücken

Das Ende einer Dienstreise

Wenn die Dienstreise außerhalb der regulären Arbeitszeit liegt

Nur Nonnen und Mönche (hier nicht zu sehen) reisen unentgeltlich im Dienste des Herrn

Henry W. fliegt Economy, mit der Bahn fährt er 1. Klasse. Die Hotels, in denen er übernachtet, gehören eher der gehobenen Preiskategorie an, Spesen rechnet er per Reisekostenabrechnung ab. Muss er ins Ausland, werden die Spesen doppelt verrechnet. Nur die Zeit, die er für seine Dienstreisen aufwenden muss, wird ihm nicht gesondert vergütet. Henry W. ist Vermögensbetreuer bei einer Privatbank in Hamburg und wird dafür gut bezahlt. Dass seine Arbeitstage wegen der Geschäftsreisen oft 15, 16 Stunden lang sind, interessiert niemanden. "Da schert sich hier keiner drum, und ich mich selbst auch nicht", sagt Henry W.. Als leitender Angestellter ist er ausgenommen von den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, das die Rahmenbedingungen für die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer in Deutschland markiert und für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen verbindlich ist.

Obwohl auch Henry W.'s Arbeitsvertrag ein Manteltarifvertrag zugrunde liegt, käme er gar nicht auf die Idee, an seinem Vertrag zu rütteln. Er will die Flexibilität, die ihm sein Arbeitgeber bietet, "ich möchte kein Korsett". Denn wenn es einmal nicht viel zu tun gibt, "dann gehe ich auch schon um 15 Uhr", sagt er. Das klingt nach guten Bedingungen und vor allem nach Einvernehmlichkeit auf beiden Seiten. Aber längst nicht jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer ist in einer leitenden Position und so gut bezahlt, dass sie oder er die gelegentlichen Dienstreisen, insbesondere die dadurch entstehenden Überstunden unentgeltlich zu leisten vermag.

Zu Dienstreisen kann der Arbeitnehmer verpflichtet sein, wenn das der Arbeitsvertrag vorsieht. Das muss aber nicht sein. Denn auch wenn der Vertrag diesen Punkt nicht regelt, kann der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht Gebrauch machen und Dienstreisen anordnen. Das gilt zum Beispiel für Mitarbeiter im Einkauf oder Vertrieb eines Unternehmens oder für Groß- und Außenhandelskaufleute. Regelt der Arbeitsvertrag das Thema Dienstreise nicht, und gibt es auch keine Betriebsvereinbarung, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Reisezeiten, die in die reguläre Arbeitszeit fallen, auch als Arbeitszeit zu vergüten.

Anders verhält es sich bei Dienstreisen, die über die vertraglich oder gesetzlich geregelte Arbeitszeit hinausgehen. Muss ein Arbeitnehmer etwa bereits am Sonntag anreisen, um gleich am Montag früh seine Arbeit aufnehmen zu können, ist umstritten, ob diese notwendige frühere Anreise auch als Arbeitszeit vergütet werden muss. Das Bundesarbeitsgericht hat diesbezüglich bereits in einem Urteil von 1997 (AZ 5 AZR 428/96) festgestellt, dass bei einem gut verdienenden leitenden Angestellten zwei nicht gesondert vergütete Reisestunden täglich angemessen sind. Dennoch müsste immer auf den Einzelfall geguckt werden. So sollte einer Verkäuferin, die auf Anweisung beim Aufbau einer neuen Filiale in einem anderen Ort helfen muss, auch die Reisezeit vergütet werden.

Noch komplizierter wird es, wenn der Arbeitgeber zwar die Hin- und Rückreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorschreibt, es dem Beschäftigten aber überlässt, wie er die Reisezeit nutzt. Ob er eifrig am Laptop Arbeitspapiere erstellt oder ein Nickerchen macht - im Sinne des Arbeitszeitgesetzes liegt dann keine Arbeitszeit vor (AZ 9 AZR 519/05). Die Freiheit, selbst über seine Zeit bestimmen zu können, schließt eine Beanspruchung aus, so das Bundesarbeitsgericht.

Vermögensbetreuer Henry W. sagt, in seinem Vertrag sei "all inclusive", weder über die Arbeitzeit noch über Dienstreisen gebe es besondere Vermerke. Letztere sind Teil seines Berufes, am Ende eines Jahres wird sein Erfolg in zusätzlichen Bonuszahlungen bemessen. Klare Verhältnisse. In denjenigen Arbeitsverhältnissen, in denen auch die Arbeitsgerichte und Gesetze schwammige Zustände zulassen, helfen am Ende nur Betriebsvereinbarungen, eindeutige Formulierungen im individuellen Arbeitsvertrag oder klare Abmachungen vor Dienstreiseantritt.

foto: ver.di

ver.di PUBLIK | Wenn jemand auf Dienstreise geht, wird die reine Reisezeit oft nicht bezahlt. Der Gesetzgeber hat dies nicht eindeutig geregelt. Warum eigentlich nicht?

HELMUT PLATOW | Weil es immer auf die konkreten Umstände der Dienstreise ankommt. Der Gesetzgeber hat in Paragraph 611 Bürgerliches Gesetzbuch eindeutig geregelt, dass die Arbeitsleistung beziehungsweise die Arbeitspflicht zu vergüten ist. Wenn ein Arbeitnehmer während der regulären Arbeitszeit angewiesen wird, eine Dienstreise zu machen, ist das seine Arbeitspflicht. Er kann während der Dienstreise nicht frei über seine Arbeitszeit verfügen, muss also bezahlt werden. Allerdings gibt es immer wieder Streit, wenn die Dienstreise ganz oder zum Teil außerhalb der regulären Arbeitszeit stattfindet, oder wenn der Arbeitnehmer keinen Pkw lenken muss und er während der Fahrzeit machen kann, was er will. Wenn es dann keine eindeutigen Vereinbarungen in Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag gibt, kann die Zeit auch schon mal als eine nicht vergütungspflichtige Ruhezeit bewertet werden.

ver.di PUBLIK | Gibt es bestimmte Berufe, bei denen man besonders darauf achten sollte, dass im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung auch die Reisezeit vergütet wird?

PLATOW | Ja, grundsätzlich bei allen Tätigkeiten, die mit verstärkter Reisetätigkeit verbunden sind, etwa bei Außendienstmitarbeitern, Handelsvertretern, Reportern oder bei Montagetätigkeit. Auch so genannte höhere, gutverdienende Angestellte sollten für den Fall einer Dienstreise vor Reisebeginn für klare Verhältnisse sorgen.

ver.di PUBLIK | Spielt es dabei eine Rolle, ob man mit einem öffentlichen Verkehrsmittel oder dem eigenen, beziehungsweise einem Firmen-Wagen unterwegs ist?

PLATOW | Nein, zumindest nicht, wenn man während der regulären Arbeitszeit unterwegs ist. Egal ob ich selbst den Pkw steuere oder nur mitfahre, ob ich im Zug sitze und einen Krimi lese: Grundsätzlich ist man auf Anweisung des Arbeitgebers - manchmal in überfüllten Zügen - unterwegs. Das ist Arbeitszeit und kein Privatvergnügen. In Tarifverträgen oder in Betriebsvereinbarungen wird oft anderes vereinbart. Das ist grundsätzlich zulässig. So sind im öffentlichen Dienst Dienstreisen, die länger als die reguläre Arbeitszeit dauern, keine Arbeitszeit. In anderen Tarifverträgen wiederum wird genau festgelegt, bis zu wie viel Stunden eine Dienstreise zu vergüten ist. Da gibt es je nach Branche sehr unterschiedliche Bandbreiten. Natürlich kann das alles auch im Einzelvertrag geregelt werden. Oft diktiert dann aber der Arbeitgeber einseitig die Bedingungen.

INTERVIEW: Petra Welzel

HELMUT PLATOW leitet die Rechtsabteilung beim ver.di-Bundesvorstand